Warum wir mehr arbeiten müssen
Wir haben in Österreich so viele offene Arbeitsstellen wie seit Jahrzehnten nicht. In allen Qualifikationsstufen werden Arbeitskräfte gesucht. Das, was vor einigen Jahren noch der Fachkräftemangel war, hat sich in den vergangenen Monaten zu einem flächigen Arbeitskräftemangel entwickelt. Hand in Hand damit verzeichnet Österreich Rekordbeschäftigung. So viele Menschen sind noch nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen – und trotzdem fehlen so viele wie nie.
Wo sind also die ganzen Arbeitskräfte hin? Darüber wissen wir nur ungefähr Bescheid. Es fehlen nämlich die Daten, um das Arbeitskräftepotenzial für die offenen Stellen annähernd abschätzen zu können, wie AMS-Vorstand Johannes Kopf unter anderem auf Twitter erklärt hat. Die Betriebe melden zwar im Rahmen der Beitragsgrundlagennachweise, ob ein Mitarbeiter voll- oder teilversichert arbeitet. Das in der betrieblichen EDV ohnehin erfasste Arbeitszeitausmaß übermitteln die Unternehmen aber nicht. Genau das schlägt Johannes Kopf vor. Und genau so haben wir das im Sozialausschuss des Nationalrats beantragt.
Warum wären das relevante Informationen? Wir wissen nicht, in welchen Berufsgruppen und Qualifikationen Menschen viele und in welchen sie wenige Arbeitsstunden pro Woche erbringen. Wir haben auch kein konkretes Bild davon, in welchen Berufen und in welchen Branchen das durchschnittliche Arbeitszeitausmaß stärker zurückgeht, weniger zurückgeht und wo es eher steigt. Wüssten wir das, könnten wir uns der Frage professionell nähern, wie wir einen Teil dieses Arbeitskräftepotenzials heben, das im niedrigen Arbeitszeitausmaß schlummert.
Stichproben der Statistik Austria zur Wochenarbeitszeit lassen jedenfalls spannende Resultate vermuten. So weist der Tourismus in den Jahren vor der Krise zwar einen nominalen Arbeitskräftezuwachs aus, die kontinuierlich sinkende Wochenarbeitszeit hat diesen jedoch laut den Stichproben halbiert. Das blieb aber weitgehend unerkannt, vor allem, weil die Echtdaten für die Analysen bisher fehlen.
Für die sinkenden Wochenarbeitszeiten setzt das österreichische Sozialversicherungs- und Steuersystem vielfache Anreize: Einschleifende Erstattung für die Krankenversicherung und steigende Arbeitslosenversicherungssätze beispielsweise verstärken die steuerliche Progression. Das macht Mehrarbeit unattraktiv. Um die Wirkungen solcher Teilzeitanreize genauer zu erheben, fehlen aber – wie so oft in Österreich – die Daten.
Vom Kampf gegen den Arbeitskräftemangel profitieren jedenfalls alle, weil fehlende Arbeitskräfte ein Hindernis für erfolgreiches Arbeiten sind: Gastrobetriebe müssen zusätzliche Schließtage einlegen, Produzenten müssen Aufträge ablehnen und Elektrotechniker können die bestellten Photovoltaik-Anlagen nicht montieren. Beiträge, die in unsere marode Sozialversicherung fließen könnten, fließen nicht. Steuern, die das Staatswesen finanzieren könnten, fallen aus. Und die so dringliche Energiewende schaffen wir ohne Arbeitskräfte auch nicht. Diese Lässigkeit können wir uns nicht mehr leisten.
Anmerkung:
Diesen Beitrag habe ich auf Einladung des „Standard“ für ein Pro & Contra geschrieben, das sich auf meinen Antrag https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A/A_02767/index.shtml beziehen hätte sollten. Weil ich inhaltlich nicht das geschrieben hatte, was der Contra-Autor wohl gerne in der Luft zerrissen hätte, wurde der Beitrag im Blatt nicht gebracht.
Dr. Karlheinz Gfall
14. Oktober 2022 at 18:12Das ist sicherlich ein erhebliches Problem, aber wie bereits erwähnt gibt es keine Anreize zur Mehrarbeit, da bei etwas höherem Einkommen die Progression voll zuschlägt. Die Steuern- und Abgabenquote auf Erwerbseinkommen ist im internationalen Vergleich viel zu hoch und Vermögen wird gar nicht besteuert. Die OECD ermahnt uns seit mehr als 15 Jahren, endlich ein gerechteres Steuersystem umzusetzen.