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Demenz nach Impfstoffbasar im Ministerrat

Warum Sie Ihre COVID-Impfung noch nicht bekommen haben, liegt nicht an dunklen Vorgängen in der EU, die Sebastian Kurz angeblich aufgedeckt hat. Das liegt am Versagen unserer Bundesregierung. Leider deckt der Mantel des Vergessens vieles zu.

Während im Frühjahr 2020 Österreich noch die Beschaffung von Schutzmaterial für die eigene Bevölkerung verpfuscht, starten Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande schon im Mai 2020 als „Inclusive Vaccine Alliance“ erste Vorverhandlungen zur Impfstoffbeschaffung. Als diese scheitern, wird im Juni ein EU-Steering-Board eingerichtet. Österreich stellt mit Clemens Martin Auer den stellvertretenden Vorsitzenden dieses Gremiums[1]. Schon aus diesem Grund hat die Bundesregierung einen sehr guten Informationsstand über die EU-Vorgänge gehabt. Zumindest der Bundeskanzler will davon aber nichts gewusst haben, als er am 12. März einen „Hinterzimmerbasar“ voller Gesundheitsbeamten anprangert und behauptet, die Mitgliedsstaaten wären von diesem Gremium übers Ohr gehauen worden. Clemens Martin Auer, Sonderbeauftragter des Gesundheitsministeriums, soll an 54 Sitzungen teilgenommen haben[2], der Gesundheitsminister kann wohl kaum behaupten, dass er bei so einem Zeitaufwand nicht mitbekommen hätte, was einer seiner wichtigsten Beamten in der Arbeitszeit gemacht hat, erst recht, wenn dies im Rahmen seiner Tätigkeit für die Republik erfolgt ist.

Im Juli 2020 beschließt die österreichische Regierung auch auf nationaler Ebene, was finanziell für die Impfungen geleistet werden sollte – laut Ministerratsprotokoll vom 29. Juli werden vor der Sommerpause € 200 Millionen für die Impfstoffbeschaffung in den Jahren 2020 und 2021 bereitgestellt. Im Ministerratsantrag scheint diese Summe auf Ansuchen des Gesundheitsministeriums festgelegt worden zu sein: „Aufgrund der aktuell erst am Beginn stehenden Vertragsvereinbarungen und der Unabwägbarkeit verschiedener anderer Faktoren ist bei der angestrebten Impfung von 8 Millionen Menschen in Österreich jedenfalls von einem Gesamtkostenrahmen von bis zu 200 Millionen Euro auszugehen.[3]

Im Sommer 2020 verfolgt die Regierung dieses Thema offensiv: Bundeskanzler Kurz gibt im August die Strategie für die Impfstoffbeschaffung vor: „Es ist wichtig, breit und breitest möglich, jetzt Impfstoffe zu reservieren. Es ist ein Wettlauf der unterschiedlichen Staaten und Unternehmen, wer den ersten Durchbruch erzielt.“[4] In einer Linie mit den Ankündigungen des Bundeskanzlers entscheidet man sich für eine EU-weite gemeinsame Beschaffung. Der Gesundheitsminister kündigt im September 2020 den Jänner 2021 als Zeitpunkt für den Impfstart an.[5] Mitte September wird auch im Ministerrat wieder über die Impfungen geredet, damals dreht es sich um Vorverträge mit sechs Herstellern, mit denen die finanziellen Mittel der EU zur Impfstoffbeschaffung bereits ausgeschöpft waren. Für einen Vertrag über einen siebten Impfstoff müssten von Österreich weitere € 21,75 Millionen bereitgestellt werden. Allerdings war auch bekannt, dass Optionen zur Abnahme bestehen, die aber nicht verpflichtend sind. Dem Ministerrat ist also spätestens seit Mitte September bekannt, dass die EU-Kontingente von den Mitgliedsstaaten in einem individuellen Ausmaß genutzt werden können. Gleichzeitig plant der Ministerrat direkt, wie Österreich nicht genutzte Impfdosen weiterverkaufen oder spenden kann.[6]

Die Beschaffung von Impfstoff scheint für die Regierung damit erledigt gewesen zu sein. Im Ministerratsprotokoll vom 9. Oktober 2020 ist zu lesen, dass die „ausreichende Versorgung mit COVID 19 Impfstoffen im Rahmen der Europäischen Beschaffungsvorgänge“ mit dem Ministerratsvortrag vom 16. September beschlossen worden war.[7] Möglicherweise auch deshalb verzichtet Clemens Martin Auer im Oktober 2020 auf eine Menge von 1,5 Millionen Impfdosen von Johnson & Johnson – obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar ist, welches Präparat zu welchem Zeitpunkt eine Zulassung bekommen wird.[8] Klar ist allerdings bereits, dass Johnson & Johnson einen wesentlichen Beitrag zur Durchimpfungsrate leisten kann, weil dieses Präparat nur einmal verimpft werden muss und mit diesen Impfdosen damit doppelt so viele Personen geimpft werden können, wie beispielsweise mit dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer.

Ende November sind jedenfalls 16,5 Millionen Impfdosen für Österreich „gesichert“. Auf dieser Basis erklärt Gesundheitsminister Anschober am 11. November 2020, dass im ersten Quartal alle Risikogruppen und im zweiten Quartal alle Interessierten geimpft werden können.[9] Genau diese Zahlen legt Anschober auch im Ministerrat vor – von Unwissenheit oder mangelnder Information zwischen Regierungsmitgliedern kann also keine Rede sein.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt kommt dem Gesundheitsminister die Zuständigkeit für die Impfstoffe abhanden, weil Sebastian Kurz auch eine Rolle spielen möchte. Er bespricht im Dezember mit zwei hochrangigen Mitarbeitern von Pfizer die Lieferung von 900.000 Dosen für Jänner und Februar.[10] Das bedeutet erstens: Der Bundeskanzler ist voll in den Beschaffungsprozess involviert. Und zweitens: Er ist möglicherweise sogar stärker involviert als das Gesundheitsministerium. Seine Angaben stimmen nämlich insofern, als Österreich bis März ca. 900.000 Impfdosen bekommen wird (auch wenn ein geringer Anteil Moderna-Impfungen dabei war).[11] Anzunehmen ist allerdings, dass es sich dabei nicht um eine eigene telefonische Bestellung gehandelt hat, sondern dass diese 900.000 Impfdosen im Kontingent über die EU enthalten sind.

Mit der Lieferung der ersten Impfstoffe Ende Dezember spricht Kanzler Kurz von einem „historischen Tag“ und erklärt, wie die Phasen der Impfkampagne aussehen sollen – ebenfalls eigentlich ein Thema des Gesundheitsressorts, das der Kanzler öffentlich aber für sich beansprucht.[12] Nur rund eine Woche später entmachtet der Bundeskanzler den Gesundheitsminister in der Frage der Impfungen und startet selbst die Impfkampagne. So veröffentlicht das Bundeskanzleramt, nicht das Gesundheitsministerium, wie viele Impfungen im ersten Quartal zur Verfügung stehen werden. Auf die direkte Frage nach der Verantwortlichkeit erklärt der Kanzler seine Mitwirkung so: „Die Zuständigkeiten sind klar. Aber bei so einem großen Projekt ist es wichtig, dass es funktioniert. Natürlich bringe ich mich da ein.[13]

Auch auf EU-Ebene mischt Sebastian Kurz mit, drängt auf größere Beschaffungsmengen und schnellere Zulassungsverfahren.[14] Größere Bestellmengen und ein zusätzliches Budget von € 115,3 Millionen werden am 20. Jänner 2021 auch im Ministerrat besprochen, wie aus den Protokollen ersichtlich ist. Laut Vorlage geht es unter anderem darum, wie viele Impfdosen nachbestellt, ob alle Optionen abgerufen wurden und auf wie viel sich die Bestellungen damit belaufen. Durch die Diskussion darüber, ob alle Optionen abgerufen wurden, ist damit implizit klar,

  • dass es Optionen gab (und gibt),
  • dass man diese Optionen abrufen konnte oder nicht,
  • dass mit nicht abgerufenen Impfungen auch etwas passieren muss.

Somit ist erneut klargestellt, dass Vorgänge, die Sebastian Kurz jetzt nicht kennen will, im Ministerrat besprochen wurden.[15] Zwei Wochen später, am 10. Februar 2021, bringt Gesundheitsminister Anschober erneut eine Vorlage in den Ministerrat ein, dass zusätzliche Impfstoffe von der EU gekauft werden, um damit weiterhin „das Risiko hinsichtlich Marktzulassung, Technologie und Einsatzmöglichkeiten bei verschiedenen Personengruppen breit zu streuen“ – eine Herangehensweise, die hinsichtlich Alterseinschränkungen für einzelne Impfstoffe und die verschiedenen Zulassungsdaten relativ sinnvoll erscheint. Des Weiteren wird im Februar explizit diese „Überbuchung“ besprochen. Insgesamt war der Informationsstand am 10. Februar damit Folgender:

Der gesamte Kostenrahmen für das oben beschriebene Risiko-Portfolio von 30,5 Millionen Dosen beträgt daher in Summe 388,3 Millionen Euro. Zu beachten ist, dass die entsprechenden Vorverträge vorsehen, dass alle nichtverbrauchten Dosen an Impfstoff entweder weiterverkauft oder im Rahmen multilateraler Hilfsprogramme gespendet werden können.

Im Ministerrat ist also den Beteiligten klar, dass nicht abgerufene Dosen auch weiterverkauft werden können. Das entspricht den Vorgängen, die der Bundeskanzler später als „Hinterzimmerbasar“ „aufgedeckt“ haben will.[16]

Die damaligen Zahlen aus dem Ministerrat werden heute noch medial als Basis verwendet, offenbar hat das Gesundheitsministerium aber unterschiedliche Zahlenstände. Anfragebeantwortungen an NEOS zeigen, dass die Daten des BMSGPK innerhalb von zwei Tagen den Unterschied von 3 Millionen Impfdosen ausmachen können.[17],[18]

Impfstoff 10.2. – Ministerrat 22.2. – 4758/AB 24.2. – 4837/AB
Astra Zeneca 5,9 Mio 6 Mio 6 Mio
Johnson & Johnson 2,5 Mio 2,5 Mio 2,5 Mio
Sanofi/ GSK 200.000
BioNTech/Pfizer 11,1 Mio 11,1 Mio 11 Mio
CureVac 3 Mio 3 Mio 3 Mio
Moderna 4,7 Mio 4,7 Mio 4,8 Mio
Novavax 1,9 Mio 2 Mio
Valneva 1,2 Mio 1 Mio
SUMME 30,5 Mio 27,3 Mio 30,3 Mio

 

Am 7. März 2021 publiziert politico.eu einen neuen Lieferplan der Firma Moderna, der über Ungarn ans Licht kommt. Laut diesem Dokument hat Österreich nicht die volle Menge einer angekündigten Lieferung von Moderna-Impfstoffen abgerufen. In Österreich wird diese Nachricht allerdings kaum wahrgenommen.[19]

Wenige Tage später wechselt Sebastian Kurz seinen Kurs gegenüber der bisherigen Impfstoffbeschaffung und will plötzlich nichts mehr davon gewusst haben. In einer Presskonferenz am 12. März 2021 spricht er von einem „Basar“, auf dem „zusätzliche Absprachen zwischen Pharmaunternehmen und Mitgliedsstaaten getroffen wurden„. Kurz will die imageschädigende Bezeichnung Basar auch nicht selbst verantworten, sondern erklärt diese zum Faktum: „Das Wort Basar stammt nicht von mir, sondern die mir vorliegenden Informationen deuten darauf hin, dass dieses Gremium auch offiziell so bezeichnet wurde.“ Trotz der vielen bisherigen Veröffentlichungen und Statements des Kanzlers will dieser nun nicht wissen, was vereinbart worden war: „Ich weiß nicht, wer die Verträge unterschrieben hat, für mich ist aber klar, dass aufgeklärt werden muss, wie diese Verträge in diesem Steering-Board aussehen, warum andere Verträge getroffen wurden, als zwischen den Staats- und Regierungschefs ausgemacht war.[20]

Mehr als ein halbes Jahr spielt sich der Kanzler in den Mittelpunkt der Impfstoffbeschaffung, jetzt plötzlich sollen die Beamten des Gesundheitsministeriums allein schuld sein, ja auch der Gesundheitsminister persönlich will von nichts gewusst haben. Clemens Martin Auer hätte verschwiegen, dass überhaupt die Möglichkeit bestünde, weitere Impfdosen abzurufen und verzichtet nach öffentlichem Druck vor allem aus der ÖVP auf seinen Posten.[21] Der Bundeskanzler stellt dies wenige Tage später gegenüber der Zeit im Bild so dar, als ob Anschober den Sonderbeauftragten Auer auf seinen Zuruf suspendiert hätte. Es drängt sich damit der Verdacht auf, Clemens Martin Auer sei ein Bauernopfer, mit dem der Bundeskanzler und der Gesundheitsminister, vom eigenen Versagen ablenken wollen. Klar ist auch, dass die politische Verantwortung bei der Bundesregierung, insbesondere bei Bundeskanzler Kurz und Gesundheitsminister Anschober, liegt.

Angesichts eines Berichts der Tageszeitung „Die Presse“ waren sowohl Sebastian Kurz als Rudi Anschober sehr wohl informiert über den Bestellmechanismus und darüber, dass man eigentlich zustehende Impfkontingente nicht vollständig abrufe.[22]

Und wenn Sie Ihre Impfung noch nicht bekommen haben, liegt das zu einem guten Teil daran, dass die österreichische Bundesregierung, angeführt von Bundeskanzler Sebastian Kurz persönlich, die Beschaffung vermasselt hat.

[1] https://www.medmedia.at/relatus-pharm/corona-impfstoff-oesterreicher-im-verhandlungsteam-fuer-beschaffung/

[2] https://story.heute.at/christian-nusser-kopfnuesse-geheimakt-impfung/index.html

[3] https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:93a57f26-d8e7-4e88-9ebc-2f5a66acad29/27_44_mrv.pdf

[4] https://www.diepresse.com/5859051/kurz-es-gibt-schon-langsam-licht-am-ende-des-tunnels

[5] https://kurier.at/politik/inland/anschober-erste-impfungen-bereits-ab-jaenner-moeglich/401017718

[6] https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:506d2d81-2eb9-4bed-86ce-ead878344151/30_17_mrv.pdf

[7] https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:1ef55f1b-2281-4883-bae9-d209cfce4bc3/33_17_mrv.pdf

[8] https://www.derstandard.at/story/2000125068150/oesterreich-droht-luecke-von-weiteren-1-5-millionen-impfdosen-aus

[9] https://www.kleinezeitung.at/international/corona/5896034/Impfstoffe_Anschober-erwartet-Dosen-fuer-alle-ab-zweitem-Quartal-2021

[10] https://kurier.at/politik/inland/bundeskanzler-900000-impfdosen-fuer-oesterreich-bis-maerz/401131668

[11] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2085580-Kurz-verspricht-900.000-Impfdosen-bis-Maerz.html

[12] https://www.vienna.at/kurz-zu-ersten-corona-impfungen-ein-historischer-tag/6849940

[13] https://www.oe24.at/oesterreich/politik/kanzler-kurz-mit-corona-ansage-250-000-impfungen-bis-ende-jaenner/460141896

[14] https://k.at/news/kurz-wir-brauchen-mehr-impfstoff-in-der-eu/401149593

[15] https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:f752f68c-dfd1-40e5-a280-0e854c4ed2d5/45_16_mrv.pdf

[16] https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:6f71597e-bdac-42d3-9659-66895c57db1b/47_27_mrv.pdf

[17] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_04758/index.shtml

[18] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_04837/index.shtml

[19] https://www.politico.eu/article/eu-countries-moderna-coronavirus-vaccine-order/

[20] https://fb.watch/4f9G4JxmB3/

[21] https://www.tt.com/artikel/17948022/anschober-zieht-spitzenbeamten-auer-ab

[22] https://www.diepresse.com/5952466/osterreich-liess-millionen-an-impfdosen-liegen

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