Der Nannystate an seinem Limit
Die Bevölkerung in Österreich wird bemuttert, sie will bemuttert werden. Für immer mehr Dinge macht sich „der Staat“ zuständig, von der Wiege bis zur Bahre wird auf uns geschaut. Der Staat weiß, was gut für Dich ist.
Doch in den letzten Monaten zeigt sich immer öfter, dass diese Superfürsorge das öffentliche System überfordert. Ein erstes Alarmzeichen hätte die Debatte rund um die Impfpflicht sein müssen: In der Begutachtung zum Impfpflichtgesetz haben einerseits die Bezirkshauptleute als wesentliche Entscheider der Verwaltung schriftlich deponiert, dass dieses Gesetz nicht zu administrieren sei, andererseits haben die Richter der Landesverwaltungsgerichte deponiert, man werde 50% mehr Personal brauchen, wenn dieses Gesetz so komme. Kurz gesagt: Unsere Bürokratie hätte eine Impfpflicht nicht umsetzen können, politische Fürsorge hin oder her. Sie wäre überfordert gewesen.
Die nächste Krise der staatlichen Fürsorge produzierte der EUR 150-Gutschein, mit dem die Energiekostensteigerung gedämpft werden sollte. Nun, in einem System, in dem sich die Bürger ihren Stromversorger frei aussuchen dürfen, ist das Subventionieren der Stromrechnung nicht ganz einfach. Die mit der Post zugestellten Gutscheine gingen natürlich oft verloren. Darüber hinaus wurden aber viele Problemstellungen nicht bedacht, beispielsweise dass gerade im ländlichen Raum Mehrparteienhäuser oft nur einen Stromzähler haben, dass die Stromrechnung auf den Vermieter läuft und vieles andere. Ein gescheitertes Projekt also auch dann, wenn man ausblendet, dass im Frühjahr 2022 Papiergutscheine auf ineffiziente Weise von der Republik an die Bürger und von den Bürgern weiter an die Stromversorger geschickt wurden, damit die Schäfchen vielleicht Anfang 2023 eine niedrigere Stromrechnung erhalten. Die unverhältnismäßig hohen administrativen Kosten dieses Gutscheinsystems berühren in Österreich ohnehin niemanden.
Eine weitere Niederlage der totalen Fürsorge bringt der „Klimabonus“ von EUR 500 für alle. Rund 6 Millionen Bürger sind bezugsberechtigt. Aber nur von 2/3 davon hat die Republik eine Kontonummer, auf die ein solcher Bonus überwiesen werden kann. Den anderen 2 Millionen Landesbewohnern mit Anspruch auf den Klimabonus schickt die Regierung einen EUR 500-Gutschein mit persönlichem Einschreiben (RSa) nach. Der überfürsorgliche Staat kann seinen Untertanen nämlich nicht zumuten, doch bitte beim Finanzamt eine Kontonummer namhaft zu machen, falls man als Bürger gerne diese EUR 500 hätte. Das ist vom bemutterten Österreicher sogar im Zeitalter des Gratiskontos zu viel verlangt. Briefe und Gutscheine sind die Lösung.
Und jetzt droht der Strompreisdeckel, die Strompreisbremse oder wie immer das Kind dann getauft wird. Schließlich erwartet niemand von den Untertanen, dass sie sich selbst überlegen, wie sie ihren Stromverbrauch reduzieren, wie sie ihre Haushaltsbudgets umstellen, wie sie z.B. durch Mehrarbeit ein höheres Einkommen erzielen oder was immer. Die Verantwortung für meine individuelle Stromrechnung liegt in der österreichischen Logik beim Staat.
Mit einer solchen „Strompreisbremse“ soll nunmehr der „Basisverbrauch“ an Strom zu einem „gesicherten, günstigen Preis auf Vorkriegsniveau“ staatlich sichergestellt werden. Was genau der „Basisverbrauch“ ist, weiß derzeit noch niemand. Ist „Basis“ der Verbrauch der sparsamsten 10%? Oder ist „Basis“ der Durchschnitt? Rechnen wir von einerdurchschnittlichen Haushaltsgröße? Das benachteiligt die Einpersonenhaushalte. Oder vergleichen wir Haushalte mit derselben Personenanzahl? Das ist nie umsetzbar, weil unterjährig Leute ein- und ausziehen, geboren werden, versterben uvm. Weil darüber hinaus Stromtarife durchaus unterschiedlich sind, kostet auch ein (wie immer definierter) „Basisverbrauch“ nicht bei jedem Anbieter gleich viel. Eine Arbeitsgruppe rund um WIFO-Chef Gabriel Felbermayr darf diese knifflige Aufgabe lösen und das passende Bürokratiemonster konzipieren.
Die genannten Beispiele zeigen: Es geht nicht. Der Staat kann sich nicht um alles kümmern. Er soll sich nicht um alles kümmern. Der Staat sind wir alle. Nichts wird besser, wenn wir einander wechselseitig die Stromrechnung zahlen und das Finanzamt als Übermittler für das Geld benutzen.
Für die sozial besonders betroffenen Mitbürger gibt es ein sehr stark ausgebautes Sozialsystem, das die Bundesländer regional anpassen können. Weniger als 5% der Menschen in Österreich beziehen Sozialhilfe. Weniger als 10% der Pensionisten bekommen eine Ausgleichszulage. Gut und recht so. Aber die Gemeinschaft der Steuerzahler, oft genannt „der Staat“, kann nicht in jeder Situation allen alle Risiken ausgleichen. Die 95% der Menschen in Österreich, die auf sich selbst schauen können, sind auch in der Verpflichtung, das zu tun und sich nicht dauernd auf „den Staat“ zu verlassen.
Monika Piber
11. September 2022 at 11:30‚Schäfchen‘, ‚Untertanen‘,
sehr geehrter Herr Loacker, wie sprechen Sie von den Bürgerinnen und Bürgern Österreichs?
Welches Amtsverständnis liegt Ihrer Wortwahl zugrunde?
Hochachtungsvoll
Monika Piber
P..S.: Die ‚Gemeinschaft der Steuerzahler‘, wie Sie formulieren, als ‚den Staat‘ zu bezeichnen, offenbart ein reichlich verkürztes Verständnis von Staat. Ich halte es für gefährlich, weil ihm die Kraft der Spaltung der Gesellschaft, der Solidargemeinschaft innewohnt.
Gerald Loacker
11. September 2022 at 11:54Sehr geehrte Frau Piber,
Die Begriffe „Schäfchen“ und „Untertanen“ drücken im gegenständlichen Zusammenhang genau die Haltung der Regierung gegenüber den Bürgern aus. Das ist es, was ich kritisiere: Die Regierung behandelt die Menschen als Dummchen von oben herab.
Natürlich geht es um die Gemeinschaft der Steuerzahler. Der Staat ist unser Gemeinwesen, in dem wir leben. Es ist ein gewaltiger Irrtum, den Staat als Gegensatz zu den Bürgerinnen und Bürgern zu sehen. Vielmehr sind es genau sie, die den Staat überhaupt bilden. Gerade dieser Gegensatz ist gefährlich, weil es suggeriert, das Wohl des Staates ginge den Einzelnen nichts an. Dabei ist jeder Einzelne ein Teil dieses Ganzen, eben kein Gegensatz.
Schöne Grüße
GL